OECD bestätigt: Bundesregierung vernachlässigt Jungenleseförderung

Es gäbe keine bedeutsamen Unterschiede bei der Lesekompetenz zwischen Mädchen und Jungen – dies jedenfalls behauptet Angela Icken, Leiterin des Referats „Gleichstellungspolitik für Männer“ (1) im BMFSFJ, auf unsere Nachfrage zur Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zur Jungenleseförderung (2), wie wir schon im letzten Jungen lesen-Newsletter berichtet haben.

Heino von Mayer, Leiter des OECD-Büros Berlin (3), bestätigte uns dagegen nun mit Schreiben vom 14. Februar 2014 nochmals, dass es entgegen der Ausführungen von Frau Icken durchaus erhebliche geschlechterspezifische Lesekompetenzunterschiede gibt (4). Die OECD führt die PISA-Studien durch, mit denen alle drei Jahre die Schulleistungen der Schüler in den OECD-Ländern verglichen werden.

Von Mayer weiter: „Ich kann Ihnen ferner versichern, dass unsere Bildungsexperten auch in Interviews betont haben, dass das Geschlechtergefälle bei den Leseleistungen der Jungen genauso problematisch ist, wie bei den Mathematikkenntnissen der Mädchen. Falls das von Vertretern der Bundesregierung nicht anerkannt wird, ist das traurig, hätte aber mit den Ergebnissen der PISA-Studie und deren Kommunikation nichts zu tun.“

Glossar:

(1) Das Referat „Gleichstellungspolitik für Männer“ ist eine Abteilung des BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).

(2) Bundestagsbeschluss zur Jungenleseförderung:

Die Regierungsfraktion aus CDU/CSU und FDP hat 2011 selbst den Antrag Drs. 17/5494 zur Jungenförderung, der noch im gleichen Jahr vom Bundestag angenommen wurde, eingereicht. Darin hieß es u.a.: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf,…sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass diese geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Lesekompetenz der Jungen zu stärken und ihr Leseengagement weiter zu erhöhen“.

(3) Die OECD – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist eine zwischenstaatliche Konferenz von 34 Mitgliedstaaten, überwiegend solche mit hohem Pro-Kopf-Einkommen. Sie wurde 1961 als Nachfolge der OEEC und des Marshallplans gegründet, die nach dem zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau Europas fördern sollten. Ihre Beschlüsse sind völkerrechtlich bindend, in den Mitgliedstaaten aber nicht unmittelbar anwendbar. 2013 betrug das Budget aus Beiträgen der Mitglieder 354 Mio €.

(4) Laut PISA-Studie 2012 sind die geschlechterspezifischen Lesekompetenzunterschiede zuungunsten der Jungen so groß wie nie zuvor. Sie betragen mittlerweile eine Differenz von 44 Punkten. Das bedeutet eine Rückstand in der Lesekompetenz von mehr als einem Schuljahr.