Jungenleseförderung – Ein Übersichtsartikel

Die Fakten

„Alle Studien der letzten Jahrzehnte zu Leseverhalten und Mediennutzung verweisen darauf, dass die Unterschiede in puncto Lesen zwischen Mädchen und Jungen, Frauen und Männern erheblich sind.“ (Christine Garbe „Echte Kerle lesen nicht!?“ – Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss. in: Matzner, Michael; Tischner Wolfgang (Hg.), Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim u. Basel: Beltz 2008, S. 301)

Schon in der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 betont die OECD: „Die Leistungsschwäche der Jungen im Bereich Lesekompetenz stellt in Deutschland wie auch in den meisten anderen OECD-Staaten ein gravierendes Problem dar.“

Der IQB-Bildungstrend 2016 „Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik am Ende der 4. Jahrgangsstufe im zweiten Ländervergleich“ zeigt:

  • Jungen verfügen gegen Ende der 4.Jahrgangsstufe im Mittel über schlechtere Kompetenzen [Deutsch] als Mädchen, wobei die Unterschiede in der Orthografie am größten sind. Die Ergebnisse auf Länderebene ähneln dabei den Ergebnissen für Deutschland insgesamt.
  • Diese geschlechtsbezogenen Disparitäten zeigen sich sowohl in den unteren als auch in den oberen Kompetenzbereichen.
  • Besonders in den Ländern Brandenburg und Nordrhein-Westfalen ist ein signifikanter Rückstand der Jungen in allen Deutsch-Kompetenzbereichen Lesen, Zuhören und Orthografie zu beobachten.
  • Zum Vergleich mit den Ergebnissen zu 2011 sind die Nachteile der Jungen im Fach Deutsch insgesamt gleichgeblieben.

Die 4. IGLU-Studie 2017 stellt eine geschlechtsspezifische Differenz bei der Lesekompetenz in derselben Größenordnung wie schon 2001 fest und empfiehlt erneut eine gezielte Leseförderung.

Die PISA-Studie 2018 „Grundbildung im internationalen Vergleich“ zeigte zur Lesekompetenz:

  • Wie in allen Staaten, die an der PISA-Studie 2018 teilnahmen, erreichen Jungen signifikant niedrigere Mittelwerte in der Lesekompetenz als Mädchen. In Deutschland beträgt die Geschlechterdifferenz 26 Punkte (OECD-Mittel = 30 Punkte).
  • Der Anteil der besonders leseschwachen Jungen hat sich seit dem Jahr 2009 nicht verändert.
  • Im Vergleich zu PISA 2015 hat sich der Anteil der Jungen auf den untersten Kompetenzstufen 2018 sogar erhöht. Die Abnahme der Lesefreude bei Jungen wie bei Mädchen in Deutschland ist höher als im Durchschnitt der OECD-Staaten.
  • Jungen verfügen in allen Szenarien über ein geringeres Lesestrategiewissen als Mädchen.

Alle Schulleistungsstudie der letzten Jahrzehnte beklagen also eine schlechte Lesekompetenz der Jungen. Politisch Verantwortliche leugnen bis heute diese Fakten.

Eine Anfrage der geschlechterpolitischen Initiative MANNdat bei der damaligen Bundesjugendministerin Schröder hat 2013 ergeben, dass es nach dem Willen der Bundesregierung eine Jungenleseförderung nicht geben wird. Anlass für die Anfrage war der Antrag der Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und FDP aus dem Jahr 2011 zur Jungenförderung (Drs. 17/5494), der noch im gleichen Jahr vom Bundestag angenommen wurde. Darin hieß es u.a.:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf, (…) sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass diese geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Lesekompetenz der Jungen zu stärken und ihr Leseengagement weiter zu erhöhen“.

Diesem vom Bundestag erteilten Auftrag, den zudem Ministerin Schröder sogar mit initiiert hat, kam die Ministerin aber nicht nach.

Als Begründung für die Weigerung der Umsetzung des Antrages behauptete Frau Dr. Icken, Leiterin des Referats für Jungen- und Männerpolitik im BMFSFJ, in ihrer Antwort, dass keine relevanten geschlechterspezifischen Unterschiede im Lesen vorhanden seien, die eine spezielle Jungenleseförderung sinnvoll erscheinen lassen würde.

Da die Ignoranz und Untätigkeit der Politik nichts an der Tatsache ändert, dass die Lesekompetenzschwäche der Jungen eine „große bildungspolitische Herausforderung“ (PISA-Studie 2000) darstellt, möchten wir hier dieser Herausforderung ein besonderes Kapitel widmen.

Die drei Phasen der Leseförderung

Über die Phasen der Leseförderung hat Frau Prof. Garbe dem Borromäusverein e.V. Bonn 2013 (siehe auch https://jungenleseliste.de/prof-christine-garbe-jungenlesefoerderung/) ein Interview gegeben, dessen Ergebnisse wir hier vorstellen.

Die Entwicklung der Lesekompetenz verläuft in drei sensiblen Phasen:

  1. Die Phase der frühkindlichen Entwicklung

Hier sollten Kinder umfangreiche Vorleseerfahrungen machen. Es geht dabei um die Vorstellungsbildung. Durch die verbal vermittelten Geschichten lernen die Kinder aus gehörten Worten Vorstellungen im Kopf zu entwickeln. Die Kinder machen dabei die Erfahrung, dass es spannende Geschichten gibt, die man nur hört. Zudem werden auch narrative Muster kennengelernt.

  1. Schriftspracherwerb in den Klassen 1 und 2

Das ist die typische Aufgabe zu Beginn der Grundschule und bedeutet viel Arbeit. Dabei ist es wichtig, dass die Kinder motiviert bleiben. Auch in diese Phase ist es wichtig, dass Lehrkräfte vorlesen, damit die Kinder wissen, dass sich die harte Arbeit lohnt.

  1. Übergang vom Lesen lernen zum selbstständigen Lesen

Die Phase geschieht i.R. ab der 3. Klasse. Die Forschung zeigt, dass die meisten Jungen sich beim Übergang von Phase 2 zu Phase 3 bzw. in dieser Phase 3, im Alter zwischen 8 und 12 Jahren, vom Lesen abwenden. In dieser Phase erfolgt bei gelingenden Lesebiographien der Übergang vom alphabetischen Dekodieren zur ́Leseflüssigkeit ́.

In dieser Phase ist es aus der Forschungsperspektive völlig egal, was die Kinder lesen. Motivation ist hier das Stichwort. Wichtig ist, dass sie lesen und vom Lesen begeistert sind. Denn die notwendige Automatisierung des Lesevorgangs, der für den Kompetenzerwerb der Leseflüssigkeit notwendig ist, kann nur durch konstante Übung erworben werden. Und wenn das Üben Spaß macht, übt man häufiger.

In diese Phase fällt die Steigerung des Lesetempos, der Lesegenauigkeit und der Genauigkeit der Phrasierung.

„Erprobte Verfahren zur Förderung von Leseflüssigkeit stehen aus dem angelsächsischen Bereich um-fangreich zur Verfügung (z.B. wiederholtes Lautlesen: „Repeated Reading“, begleitendes Lautlesen: „Paired Reading“, Lesetheater, Lautlese-Tandems usw.) ; (…) Eltern, Pädagogen und Lehrkräfte, die mit schwachen Leser/innen oder „Lesemuffeln“ im Kindes- oder Jugendalter zu tun haben, sollten also zunächst mit einem solchen Trainingsprogramm starten, bevor sie Leseanimation betreiben oder die Lesemotivation steigern wollen; die in den Lautlese-Programmen angelegten Erfolgserlebnisse entwickeln oft erstaunlich schnell einen Motivationseffekt, der auch weiter tragen kann.“ (Christine Garbe „Echte Kerle lesen nicht!?“ – Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss. in: Matzner, Michael; Tischner Wolfgang (Hg.), Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim u. Basel: Beltz 2008, S. 309f.)

Ab der Sekundarstufe wird diese Leseflüssigkeit vorausgesetzt. Kinder, die die in den vorgenannten Phasen die Lesekompetenz nicht genügend erlernt haben, haben Leseprobleme. Diese Probleme wirken sich nicht nur in den Sprachfächern aus, sondern auch im Fachunterricht. Wer nicht genau lesen kann, kann auch keine Textaufgaben in Mathematik lösen. Ein Kind kann noch so ein guter Rechner sein. Es nützt ihm nichts, wenn er die für das Berechnen wichtigen Daten und Informationen aus dem Text herauslesen kann.

Die Akteure der Leseförderung

Bibliotheken fördern den Erwerb der Lesekompetenz derjenigen, die gerne lesen und freiwillig kommen. Sie erreichen aber nicht die Kinder, die eine besondere Förderung brauchen, weil sie nicht viel und gerne lesen und deshalb auch nicht in die Bibliotheken kommen.

Deshalb müssen vor allem Schulen und soziale Einrichtungen Leseformate anbieten, die wirklich die schwachen Kinder fördern.

Gerade in der ersten Phase sind natürlich die Eltern wichtige Vermittler von Vorleseerfahrungen.

Problemgruppen der leseschwachen Jugendlichen

„Die Problemgruppe der leseschwachen Jugendlichen ist durch drei „Risikofaktoren“ gekennzeichnet: Es sind vor allem Kinder aus den bildungsfernen unteren Sozialschichten, Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder männlichen Geschlechts, die in puncto Leseleistungen schlecht abschneiden, wobei die drei Risikofaktoren kumulieren können: Jungen mit Migrationshintergrund aus den unteren Sozialschichten wären somit besonders gefährdet. Die PISA-Studie konnte zudem zeigen, dass in allen getesteten Staaten die Geschlechterdifferenzen bei der Lesekompetenz signifikant sind, während sie bei den mathematischen und den naturwissenschaftlichen Kompetenzen erheblich geringer ausfallen oder gar nicht signifikant sind.“ (Quelle: Christine Garbe „Echte Kerle lesen nicht!?“ – Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss. in: Matzner, Michael; Tischner Wolfgang (Hg.), Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim u. Basel: Beltz 2008, S. 301

Langfristig stabile Geschlechterunterschiede beim Lesen

Christine Garbe in „Echte Kerle lesen nicht!?“ – Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss. in: Matzner, Michael; Tischner Wolfgang (Hg.), Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim u. Basel: Beltz 2008, S. 302:

„1) Lesequantität: Jungen und Männer lesen seltener und kürzer, also quantitativ weniger als Mädchen und Frauen (vor allem im Bereich fiktionaler Lesestoffe).

2) Lesestoffe oder Lektürepräferenzen: Jungen und Männer lesen andere Bücher, andere Zeitschriften, Zeitungen und Textsorten im Internet als Mädchen und Frauen; sie bevorzugen Sach- und Fachbücher, im Bereich der Belletristik nur spezielle Genres (s.u.), in Zeitungen und Zeitschriften vor allem die Rubriken oder Sparten Politik, Wirtschaft, Sport, Technik. Mädchen und Frauen lesen dagegen bevorzugt fiktionale Genres (z.B. Romane), Biographien oder Lektürestoffe mit Bezug zum eigenen Leben (z.B. Ratgeberliteratur o-der entsprechende Zeitschriften).

3) Lesemodalitäten: Jungen und Männer lesen anders als Mädchen und Frauen; den bevorzugten Genres entsprechend lesen sie eher sachbezogen und distanziert, während Mädchen und Frauen eher empathisch und emotional involviert lesen.

4) Lesefreude: Jungen und Männern bedeutet das Lesen weniger als Mädchen und Frauen; sie haben vor allem in der Freizeit oft andere Medienpräferenzen und Freizeitbeschäftigungen als das Lesen. Mädchen und Frauen geben es dagegen häufiger als eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen an und ziehen offenbar auch höhere Gratifikationen aus dieser Form der Mediennutzung als Jungen und Männer.

5) Lesekompetenz: Seit PISA 2000 ist bekannt, dass Jungen weniger kompetent lesen als Mädchen – und zwar in allen getesteten Staaten. Die Überlegenheit der Mädchen bezieht sich dabei besonders auf reine Schrifttexte (im Unterschied zu sog. „nicht-kontinuierlichen Texten“, d.h. Kombinationen aus Schrift und Illustrationen, Diagrammen, Tabellen usw.) sowie auf die anspruchsvolleren Bereiche des Textverstehens (z.B. eine textbezogene Interpretation entwickeln, Reflektieren und Bewerten von Texten).“S.302

Wichtigste Bedarfe in der Leseförderung

Frau Prof. Garbe formuliert in dem Interview mit dem Borromäusverein die wichtigsten Bedarfe in der Leseförderung:

„Es muss Kooperationen mit Migrantenverbänden usw. geben. Leider ist in Deutschland an dieser Stelle noch nicht viel Wirksames passiert. (…)

Außerdem gibt es eine mangelnde Passung zwischen den Interessen der Jungen und dem, was sie in der Schule als Lesestoff angeboten bekommen. (…)

Nicht alle Mädchen oder alle Jungen mögen die gleichen Bücher. Wir müssen in der Schule eine geschlechtergerechte, individualisierte Leseförderung betreiben. In dem Alter, in dem Lesekarrieren begründet werden, also zwischen acht und zwölf Jahren, sind die meisten Mädchen und Jungen extrem geschlechterstereotyp. Diese Entwicklung erfolgt im Modus der absoluten Abgrenzung. Dementsprechend sind die Geschmäcker in diesem Alter besonders weit auseinander. Man sollte das pragmatisch akzeptieren und nicht im Sinne einer falsch verstandenen emanzipatorischen Pädagogik ändern wollen.“

Genau hier gibt es aber Defizite. Anita Schilcher war als Lehrerin an Grund- und Mittelschulen tätig und promovierte sowie habilitierte später an der Universität Passau. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Lese- und Schreibdidaktik, Literarisches Lernen sowie das Professionswissen von Deutschlehrkräften. Maria Hallitzky ist Professorin für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik des Sekundarbereichs. Schon 2004 formulierten und Schilcher und Hallitzky:

„Moderne Jungenbücher dürften zum großen Teil als Bedrohung für die männliche Selbstfindung erlebt werden. Viele typische Klassenlektüren – meist entnommen aus dem Kanon der ‚guten‘  Kinder- und Jugendliteratur – haben einen sensiblen, schwachen Jungen als Protagonisten“ (Schilcher, A/Hallitzky, M. (2004) „Was wollen die Mädchen, was wollen die Jungs – und was wollen wir? Zu Inhalt und Methodik eines geschlechterdifferenzierten Literaturunterrichts. In: Kliewer, A./Schilcher, A. (Hrsg.): Neue Leser braucht das Land! Zum geschlechterdifferenzierenden Unterricht mit Kinder- und Jugendliteratur. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 113-136)

Und Erziehungswissenschaftler und Medienpädagoge Stefan Aufenanger schrieb im Handbuch für Jungenpädagogik:

„Die Auswahl von stark mädchenorientierter Literatur in Grundschulen spricht die wenigsten Jungen an und gibt ihnen damit kaum Möglichkeiten zur Stärkung ihrer Lesekompetenzen.“ (Stefan Aufenanger: „Jungen und Medien“ in Handbuch Jungen-Pädagogik „Matzner,M./ Tischner, W. (Hrsg.), 2008, Belz-Verlag, S. 299)

Zurück zu Christine Garbe. Auch sie formulierte schon im Handbuch für Jungenpädagogik:

„Die sozialen Kontexte und Institutionen sowie die medialen Angebote im Printmedienbereich, die Prozesse der Lesesozialisation in der Kindheit und Jugend modellieren, bedienen heutzutage die Interessen von Mädchen besser als die der Jungen. Die vielfach diagnostizierte Leseschwäche und Leseunlust der Jungen sind eine Folge dieses Sachverhaltes. Hier gilt es in Zukunft energisch umzusteuern.“ (Christine Garbe: „Echte Kerle lesen nicht?“ in Handbuch Jungen-Pädagogik „Matzner,M./ Tischner, W. (Hrsg.), 2008, Belz-Verlag, S. 305)

Geschlechtsspezifische Lektürepräferenzen von Mädchen und Jungen:

  • „Mädchen bevorzugen Beziehungs-, Tier- und Liebesgeschichten, in denen menschliche Schicksale im Vordergrund stehen – im weitesten Sinne also psychologische Geschichten oder „human-interest-stories“; Jungen bevorzugen Spannung und Aktionsreichtum: Abenteuer und Kampf, Herausforderung und Bewährung, Reise- und Heldengeschichten.
  • Mädchen bevorzugen Themen, die einen Bezug zu ihrem eigenen Leben und zu ihrer Gegenwart bzw. ihrem gesellschaftlichen Umfeld haben (eher realistische oder problemorientierte Geschichten), während Jungen lieber in andere und fremde Welten ein-tauchen: exotische Länder, ferne Zeiten, unwahrscheinliche Szenarien (historische und Heldengeschichten, Fantasy, Science Fiction).
  • Mädchen bevorzugen Geschichten mit innerer Handlung (Beziehungen, Psychologie), Jungen solche mit äußerer Handlung (Kampf gegen äußere Hindernisse oder Feinde, Meisterung von Herausforderungen).
  • Mädchen greifen auch zu Jungenbüchern: Sie haben ein breiteres Genre- und Themen-spektrum als Jungen. Jungen würden dagegen niemals „Mädchenbücher“ lesen – bzw. dies öffentlich zugeben!
  • Mädchen lesen eher ́wörtlich ́, ernst, realistisch und identifikatorisch. Jungen lieben Komik, Witz, Parodie und alle Formen von ́schrägem ́ Humor und skurrilen Übertreibungen; dies sind nicht zuletzt Möglichkeiten der Distanzierung von den fiktionalen Welten.“

(Quelle: Christine Garbe „Echte Kerle lesen nicht!?“ – Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss. in: Matzner, Michael; Tischner Wolfgang (Hg.), Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim u. Basel: Beltz 2008, S. 311)

Langfristige Aufgaben: Arbeit an der Veränderung von Männerbildern, Stärkung der Präsenz von Männern in der Erziehung

„Die Arbeit an den ‚Frauenbildern‘ hat die neuere Frauenbewegung in den letzten Jahrzehnten energisch geleistet; es ist den Frauen gelungen, sich viele der ehemals als ‚männlich‘ definierten Eigenschaften zumindest partiell anzueignen und in ihr Lebenskonzept wie auch in ihr Selbstbild zu integrieren. Für Männer und Jungen gilt dies jedoch umgekehrt noch kaum: Sie sind in viel stärkerem Maße gesellschaftlichen Normierungen und Stereotypen unterworfen als Mädchen und Frauen. (…)

Viel wäre in diesem Zusammenhang bereits gewonnen, wenn in der primären Sozialisation von Jungen (und Mädchen) viel mehr Männer präsent wären: als Väter, Erzieher, Sozialpädagogen und Grundschullehrer. Wenn die ‚primäre literarische Initiation‘ (Graf 1995) stärker von Männern mitgetragen würde, würde sich auch von dieser Seite die enge Verknüpfung von ‚Lesen‘ und ‚Weiblichkeit‘ auflösen.“ (Quelle: Christine Garbe „Echte Kerle lesen nicht!?“ – Was eine erfolgreiche Leseförderung für Jungen beachten muss. in: Matzner, Michael; Tischner Wolfgang (Hg.), Handbuch Jungen-Pädagogik. Weinheim u. Basel: Beltz 2008, S. 312f.)

Jungenleseförderung ist möglich und erfolgreich – Kicken & Lesen

Eines der Kernprobleme der Jungen ist ihre mangelhafte Lesekompetenz. Und die war Fachleuten schon vor der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 bekannt. 2003 formulierte die OECD die Jungenleseförderung als primäres Bildungsziel weltweit.

Auf Initiative der Baden-Württemberg Stiftung und wurde in Kooperation mit dem VfB Stuttgart als Jungenleseförderprojekt kicken & lesen in Baden-Württemberg 2007 ins Leben gerufen um der Erfordernis von Jungenleseförderung Rechnung zu tragen. Internationale Studien im Bereich der Lesekompetenz von Jungen belegen diese Erfordernis. Lesekompetenz und Sprachfähigkeit sind Basisqualifikationen für das lebenslange Lernen und eine erfolgreiche Teilnahme am Bildungssystem. Das Projekt Kicken & Lesen wurde 2012 vom Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen“ als beste Bildungsidee ausgezeichnet.

Es hat mittlerweile einige Nachahmer gefunden. In Hessen wird das Projekt in Kooperation mit der hessenstiftung – familie hat zukunft und dem FSV Frankfurt durchgeführt.

In Rheinland-Pfalz ist Kicken & Lesen ein Kooperationsprojekt des Bildungsministeriums, des Pädagogischen Landesinstitutes, der Stiftung Lesen und dem 1. FSV Mainz 05.

Besonders interessant ist das Projekt Kicken & Lesen in Köln. Dort läuft das Projekt nämlich über den Zeitraum von einem Schuljahr und es werden Jungen der 5. und 6. Klasse an acht Kölner Schulen begleitet. In Köln ist kicken & lesen ein Kooperationsprojekt der SK Stiftung Kultur und der Stiftung 1. FC Köln. Zudem nehmen seit 2016/2017 zwei Teams aus dem Rhein-Erft-Kreis sowie Rhein-Sieg-Kreis teil.

Zu diesem Projekt gibt es auch einen Evaluationsbericht, in dem das Projekt, seine Hintergründe, Ideen und Ergebnisse detailliert dargestellt werden. Der Bericht „Leseforderung mit Ball und Buch“ – Das Projekt kicken & lesen Köln, Konzept und Evaluation des Projekts zur Leseforderung von Jungen der SK Stiftung Kultur in Kooperation mit der Stiftung 1. FC Köln (Autoren: Christine Garbe, Ursula Schroter, Frank Maria Reifenberg; Hrsg.: SK Stiftung Kultur der Sparkasse Köln/Bonn) ist unter

https://www.sk-kultur.de/fileadmin/user_upload/www.sk-stiftung-kultur.de/download/Presse/SK_Stiftung_Kultur/Litereatur-_u.Lesefoerderung/kicken___lesen_Koeln/Doku_KundL_web.pdf

downloadbar. Darin heißt es auf S.45:

„Das Pilotprojekt kicken & lesen Köln zeigt (…) für die Klassenstufen 5 – 8 (SLS 5 – 8) an den sechs teilnehmenden Pilotschulen sehr präzise, dass eine ziel-, alters- und zielgruppengerechte Förderung der basalen Lesefertigkeit, wie im herausragenden Falle der Johann-Amos-Comenius Hauptschule zu sehen ist, zu deutlichen Verbesserungen führen kann. Des Weiteren gibt dieses Projekt vielen Schülern die Möglichkeit, an die für ihre Jahrgangsstufen und Schulformen vorgesehenen Maßstäbe für ein fehlerfreies, schnelles und müheloses Lesen aufzuschließen und sich beim „technischen Aspekt des Lesens“ eindeutig zu verbessern, was in den weiterführenden Jahrgangsstufen auch zu einem besseren Textverständnis führt, das wiederum zum Erwerb von neuem Wissen und besserer Sprachkompetenz beiträgt.“