Interview mit Sebastian Weber

Spezielle Lernhilfen, die die Bedürfnisse von Jungen oder Mädchen berücksichtigen

Interview von Dr. Bruno Köhler, Leiter des Projektes „Jungenleseliste“ von MANNdat e.V. mit Herrn Sebastian Weber, Entwickler einer geschlechtersensiblen Lernbuchreihe für Jungen bzw. Mädchen bei Pons.

Was im Rahmen der Mädchenförderung heutzutage eine Selbstverständlichkeit darstellt, nämlich Mädchen speziell anzusprechen, wie z.B. beim Zukunftstag für Mädchen, stößt im umgekehrten Fall bei Jungenförderung oft auf Ablehnung. Schlechte Zeiten also für Jungs, da ihre Interessen, Wünsche und Träume im Bildungswesen weitestgehend ignoriert werden. Der Verlag Pons hat nun eine Reihe Lernbücher herausgegeben, die speziell auf die Interessen von Jungen bzw. von Mädchen eingeht. MANNdat sprach mit dem Entwickler dieser Buchreihe, Herrn Sebastian Weber.

Dr. Bruno Köhler: Können Sie unseren Lesern kurz Ihre Motivation vorstellen, die Sie veranlasst hat, Diktate speziell für Jungen bzw. Mädchen herauszugeben?

Sebastian Weber: Mit unseren Lernhilfen richten wir uns gerade an Schüler, die spezielle Bedürfnisse haben und versuchen, auch mal andere Wege beim Lernen zu gehen. Das bedeutet, dass wir uns nicht als Konkurrenz zum Schulbuch sehen und auch nicht als konventionelle Lernhilfe, die sich am Schulbuch orientiert wie es ja auf dem Markt sehr viele gibt, sondern: wir versuchen, durch Zusatzmaterialien dem Schüler genau das zu bieten, was er in der Schule vermisst, was das klassische Schulbuch auch gar nicht leisten kann, da es ja alle Schüler gleichzeitig ansprechen muss. Die von den Bildungsplänen geforderten Inhalte werden natürlich beachtet und berücksichtigt, dass jedoch Jungen und Mädchen manchmal „anders ticken“, hat uns schließlich darauf gebracht, dass dann auch die Vermittlung der Inhalte eine andere, innovativere sein könnte.

So kam auch die Idee, spezielle Lernhilfen zu machen, die die Bedürfnisse von Jungen oder Mädchen im Besonderen aufgreifen, ihr Interesse am Diktat oder an Textaufgaben etc. dadurch wecken, dass sie zum einen gerade die Themen behandeln, die sie gerne mögen. Bei Jungs sind das eben Themen wie Piraten, Technik oder Dinosaurier und dies zum anderen auf eine Art tun, die ihnen besonders gerecht wird: es ist ja beispielsweise kein Geheimnis und auch gar keine schlechte Sache, dass sich Jungen gerne bewegen und oft einfach die physisch aktivieren in der Klasse sind, so haben wir in unseren Lernhilfen auch Übungen eingebaut, die genau das aufnehmen: da gibt es „Zahlen hüpfen“ , „Wörterkopfstand“, „Treppendiktat“ und vieles mehr. Wenn es bei Mädchen dann häufiger um Freundschaften oder Meerjungfrauen geht und die Übungen beispielsweise „Diktate weitererzählen“ sind, dann deshalb, weil wir es so schaffen, das Interesse zu wecken und eine Motivation zu schaffen, die in der Schule häufig eben fehlt.

Dr. Bruno Köhler: Studien haben ja gezeigt, dass Jungen bessere Noten schreiben, wenn man in der Schule auch Themen behandelt, die die Lebenswelten von Jungen stärker tangieren. Warum findet nach Ihrer Meinung diese Erkenntnis bislang in den Schulen so wenig Beachtung?

Sebastian Weber: Das ist natürlich schwer zu sagen, weil wir hier nur Vermutungen anstellen können. Es ist aber natürlich ein Unterschied, ob man – wie mit einem Schulbuch oder in der Schulklasse selbst – alle Schüler gleichzeitig ansprechen muss oder eben mit Zusatzmaterialien bestimmte Gruppen ansprechen kann. Wer Lehrer ist, kann ein Lied davon singen: die „Binnendifferenzierung“, das heißt, die unterschiedliche Behandlung der einzelnen Schüler innerhalb des Klassenverbandes ist ein heikles und schwieriges Thema, das in der Praxis natürlich oft nur schwer durchsetzbar ist. Wer besonderen Bedürfnissen einzelner gerecht werden will, grenzt dabei natürlich wiederum andere aus. Spezielle Förderung heißt eben wieder Ausschluss aller anderen. Wo fängt man mit der Differenzierung an? Bei stärken /schwächeren Schülern, bei Jungs / Mädchen …? Was der Vorteil unserer Zusatzmaterialien ist, ist dass niemand gezwungen ist sie zu benutzen, man kann genau die kaufen, von denen man meint, dass sie gut zu einem passen. Der Markt an „neutralen“ Produkten, die sich am Schulbuch orientieren ist riesig, wir bieten hier genau die Themen, die eben Jungs oder Mädchen im Besonderen interessieren und packen sie mit den Dingen, die sie interessieren – da bleibt man eben auch beim Diktat leichter „am Ball“.

Dr. Bruno Köhler: Wir leben heute in einer Welt, in der Jungen eingeredet wird, dass so, wie sie sich verhalten und was sie sich wünschen, schlecht sei. Ihr Konzept dagegen respektiert die Wünsche und Anliegen von Jungen. Wird Ihr Konzept angenommen und wenn ja, eher von Eltern oder von Schulen, oder stoßen Sie eher auf Kritik?

Sebastian Weber: Dass Jungs oft unruhiger sind und einen größeren Bewegungsdrang haben als Mädchen, können Eltern meist nur bestätigen. „Jungs sind laut und aggressiv“ heißt es da oft – aus Gesprächen mit Eltern und Lehrern wissen wir, dass der den Jungs von Natur aus zugrunde liegende Bewegungsdrang häufig als negativ empfunden wird, auch und vor allem innerhalb des  Klassenverbands. Dass Jungs jedoch gerne Pirat spielen oder Hubschrauber bauen ist jedoch auch eine Chance – so haben wir mit unserem Konzept die Möglichkeit, Jungs im Speziellen zu fördern und mit den Themen, die sie interessieren, auch in Bereichen, die sie sonst ablehnen (Diktate üben, Textaufgaben lösen) zu fördern.

Das Feedback, das wir bisher zu unserer Jungs / Mädchen-Reihe erhalten haben, ist gemischt: in der Presse wurde uns zum Teil vorgeworfen, wir würden Klischees verfestigen oder jeweils das andere Geschlecht ausgrenzen. Hier muss jedoch immer wieder darauf hingewiesen werden, dass wir unsere Lernhilfen als Zusatzförderung sehen – wer sich angesprochen fühlt, findet hier die Themen und die Art der Wissensvermittlung, die ihm besonders zusagt. Keiner wird gezwungen, auf die Suche nach dem Ungeheuer zu gehen oder die Zutaten zum Rittermahl auszurechnen – es kann aber einen Riesenspaß machen.

So haben wir auch von Eltern bisher durchweg positives Feedback bekommen – die Tatsache, dass sich die Reihe sehr erfolgreich verkauft zeit schon, dass Eltern und Schüler sie weiterempfehlen. Was die Lehrer angeht, so haben wir hier ebenfalls viel Positives gehört: viel sagen: „endlich gibt es Lernhilfen speziell für Jungs und Mädchen – die suche ich schon so lange!“

Dr. Bruno Köhler: Schon vor 10 Jahren haben die Ergebnisse der ersten PISA-Studie eine Jungenbildungsförderung dringend angemahnt. Warum, glauben Sie, ist in dieser Hinsicht bislang so wenig geschehen?

Sebastian Weber: Auch hier lassen sich wiederum nur Vermutungen anstellen. Vielleicht sind eben genau die Argumente, die uns ebenfalls oft begegnen, verantwortlich dafür: mit einer spezifischen Förderung verfestigt man Klischees, bleibt nicht neutral genug, drängt die Jungen in „Schubladen“, in die sie vielleicht gar nicht passen. Vielleicht ist es gerade diese Diskussion, die eine besondere Förderung auch aufhält.

Dr. Bruno Köhler: Können Sie weitere Produkte von Pons nennen, die sich speziell mit dem Thema Jungenbildungsförderung befassen bzw. sind noch welche in Planung?

 Weber: Die Reihe für Jungs / für Mädchen ist die erste Reihe in diesem Format mit einer speziellen Förderung von Jungen, aber sie wird stetig fortgeführt. Im Juni erscheint wieder ein neuer Titel: neben den schon vorhandenen Diktaten, Textaufgaben und Rechenübungen gibt es nun auch die „Aufsatzübungen für Jungs“.  Wenn die Reihe weiterhin so erfolgreich bleibt, kann man bestimmt in nächster Zukunft mit noch mehr Lernhilfen für Jungs rechnen.

Dr. Bruno Köhler: Welche Tipps können Sie Eltern geben, die Ihre Jungen mehr für die Schule und speziell auch für Sprache motivieren wollen, außer natürlich dem Kauf Ihrer Bücher?

Sebastian Weber: Beim Sprachenlernen ist es wie bei allen anderen Themen auch: ist das Interesse einmal geweckt, wird Motivation und Konzentration einfach besser gefördert. Neben Zusatzmaterialien wie unsere Reihe, die das Interesse durch geschlechterspezifische Inhalte und deren unterschiedliche Vermittlung hervorrufen, ist es beim Lernen grundsätzlich wichtig, den Bezug zur Praxis und auch zur außerschulischen Realität zu fördern. Stumpf die Vokabeln für den nächsten Test zu pauken motiviert eben nicht richtig, wenn man das Kind aber beispielsweise in die Urlaubsplanung einbeziehen kann und es sich schon darauf freuen kann, den Eisverkäufer mit „Un gelato al limone, perfavore“ zu beeindrucken, oder wenn man einmal versucht, alle englischen Wörter zu sammeln, die man so bei einem Besuch im Bahnhof und auf Werbeplakaten findet, dann kann man eben auch spielerisch und ohne Druck ans Sprachenlernen herangehen.

Dr. Bruno Köhler: Wir danken Ihnen für dieses informative Gespräch und wünschen Ihnen noch viel Erfolg mit Ihrer Bücherreihe.