Interview mit Perdita Wingerter

 „Wenn sich einfach Nachahmer finden, dann braucht es keine Politik, dann ändert sich etwas bei den beteiligten Menschen.“

Ein Interview mit Frau Perdita Wingerter, Geschäftsführerin von Pro familia Passau.

„Perdita Wingerter, geb. am 11.7.1965 in Berlin, ist als Inhaber von IQM Wingerter selbständige Projektberaterin und Dozentin mit Sitz in Passau. Zudem ist sie seit März 2008 Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins „Gemeinsam leben und lernen in Europa“ und in Teilzeit Geschäftsführerin von Pro Familia Passau. Sie ist überzeugte Netzwerkerin und z.B. im bundesweiten Netzwerk „Neue Wege für Jungs“ aktiv.

Von Januar 2002 bis März 2008 arbeitete sie als Geschäftsführerin der Equal-Ostbayern-GmbH, einer regionalen Beschäftigungsinitiative mit Sitz in Passau. Zuvor arbeitete sie 8 Jahre als Kursleiterin und Dozentin in der Erwachsenenbildung. Sie hat einen Magister in Politikwissenschaft, Deutsche Literatur und Philosophie und studierte im Anschluss noch Südostasienkunde, Soziologie und Psychologie.“ (Quelle , Abruf 6.3.2013)

Mit Frau Perdita Wingerter sprach Dr. Bruno Köhler, Leiter des Projektes „Jungenleseliste“ von MANNdat e.V.

MANNdat: Sehr geehrte Frau Wingerter, pro familia führt derzeit ein Vätervorleseprojekt durch. Wie läuft das ab?

Frau Wingerter: Wir haben vor einigen Jahren eine Männergruppe bei pro familia initiiert, die sehr aktiv ist. Ich habe dort angefragt, ob sich einige der Väter vorstellen könnte, sich auch bei einer Vorleseaktion für Kinder zu engagieren. Vier Väter sagten spontan zu.

Wir arbeiten bei der Aktion mit der örtlichen Bücherei zusammen, die einen eigenen Raum dafür zur Verfügung stellten und uns bei der Werbung unterstützen. Zielpublikum waren Kinder im Alter zwischen 5 und 8 Jahren.

Wir richteten den Raum sehr gemütlich her, mit großen Sitzkissen, einem gemütlichen Ohrensessel für die Vorleser, dekorierten den Raum und stellten für die Kinder Kekse und Getränke zur Verfügung. Die Vorleseaktion dauert zwischen 1 – 1,5 Stunden – länger können sich die Kinder nicht konzentrieren.

Wer kann bei diesem Projekt mitmachen?

Interessierte Väter, die gut vorlesen können.

Gibt es Vorgaben zur Lektüre, die die Väter vorlesen dürfen, oder sind sie da frei in der Auswahl?

Nein, die Männer suchten selbst ihre Geschichten aus und wählten Bücher, die sie selber gerne gemocht haben bzw. die bei ihren eigenen Kindern gut ankamen.

Wo kann man weiter Informationen zu dem Vätervorleseprojekt erhalten?

Bei mir, also unter perdita.wingerter@profamilia.de

Immer wieder wird betont, dass gerade männliche Vorleser für die Jungenleseförderung wichtig wären. Warum?

Vorlesen ist für die Entwicklung der Kinder wichtig und fördert das Lesen. Aber Vorlesen ist, wie auch das Bücherlesen, überwiegend Frauensache. Nur ca. 8% der Väter lesen ihren Kindern vor. Dabei spielen Väter eine essenzielle Rolle: Kinder brauchen zum einen das Engagement ihrer Väter, damit in der Familie eine lebendige Vorlesekultur vorgelebt wird. Zum anderen brauchen Jungs Väter als männliche Rollen-Vorbilder und „Botschafter des Lesens“, denn Jungen lesen tendenziell deutlich weniger gerne als Mädchen und sind somit weitaus stärker gefährdet, die Grundkompetenz Lesen nur unzureichend zu erwerben. Väter können also entschieden dazu beitragen, Jungen zum Lesen zu motivieren. Außerdem kann das Vorlesen auch eine aktive und damit für Väter attraktive Freizeitbeschäftigung mit Kindern sein kann.

Sie sind Fachfrau in Sachen Gleichstellungspolitik. Gerade mal vier bildungspolitisch initiierte Jungenleseförderprojekte gibt es bundesweit. Sehen Sie Chancen, dass dem Thema Jungenleseförderung bildungspolitisch zukünftig mehr Bedeutung beigemessen werden könnte?

Ich bin keine Freundin von großen theoretischen Diskursen, sondern versuche Veränderungen durch konkrete Taten zu bewirken. So eine Aktion wie bei uns, lässt sich leicht und ohne finanzielle Ressourcen jederzeit und überall realisieren. Und wenn sich bundesweit einfach Nachahmer finden und dies praktisch vor Ort umsetzen, dann brauche ich keine Politik, dann ändert sich etwas bei den beteiligten Menschen.

Welche bevorzugte Leselektüre für Jungen können Sie aus Ihrer Erfahrung als Mutter zweier Söhne empfehlen?

Grundsätzlich leitet mich der Vorsatz: es muss die Jungs interessieren und zum Lesen animieren und da ist der Inhalt sekundär – da hege ich nicht besonders pädagogisch wertvolle Ansprüche.

Als die Kinder klein waren, waren sie begeistert von der Bücherreihe „Wieso? Weshalb? Warum?“ oder Wimmelbücher, wie z.B. von Ali Mitgutsch. Bei den Bilderbüchern war ihr und auch mein persönlicher Favorit „Du hast angefangen! Nein, Du! Von David McKee; Maurice Sendak „Wo die wilden Kerle wohnen“ oder „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ von Werner Holzwarth und Wolf Erlbruch. Was mich überrascht hat, dass insgesamt Kinder auch von skurrilen Geschichten und Zeichnungen begeistert sind. Außerdem können sich Jungs auch total in Sachbücher vergraben. So interessierte sich mein älterer Sohn jahrelang für Fachbücher über Landmaschinen.

Als sie etwas größer wurden natürlich andere Arten von Bücher beliebt: alle Bände von „Das wilde Pack“ von Boris Pfeiffer und André Marx, die „Gruselbus-Bände“ von Paul van Loon:, die Bartimäus-Reihe von Jonathan Stroud, „Die Zeitdetektive“-Reihe von Fabian Lenk und Almud Kunert: Die Zeitdetektive, „Die Chroniken von Narnia“ von Clive Staples Lewis, „Die Klippenland-Chroniken“ von Paul Stewart und natürlich Harry Potter von Joanne K. Rowling und „Herr der Ringe“ von Tolkien.

Zurzeit liest Yannick (12) die Reihe „Warrior Cats“ von Erin Hunter. Und Joshua (14) habe ich über diverse Online-Bücherhändler noch alle Bände der Fantasy-Reihe MechWarrior: Dark Age besorgt.

Und absoluter Top-Favorit sind nach wie vor natürlich Gregs Tagebücher (da wurde jeder Band sicher schon mindestens 6 X gelesen)!

Dann ein unpädagogischer Tipp, wie man Jungen zum lesen motivieren kann: alle 50 Seiten bekommen sie eine YU-GI-OH Karte, oder ein Panini-WM/EM-Päckchen – je nachdem was gerade aktuell ist. Für Joshua ist das nichts mehr – da gibt es alle 100 Seite eine Tüte Gummibärchen seiner Wahl. 🙂

Die vielen Tipps füllen ja beinahe eine eigene Jungenleseliste. Vielen Dank für dieses Interview. Wir wünschen Ihnen noch viel Erfolg mit Ihrem Vätervorleseprojekt.