Interview mit Frank Maria Reifenberg

„Jungen wollen einen starken Helden, der Probleme löst und nicht das Problem ist.“

Ein Interview mit Herrn Frank Maria Reifenberg, Autor, Sprecher und Fachmann im Bereich Jungenleseförderung

Frank Maria Reifenberg, geboren 1962, ist Schriftsteller, Redakteur und Sprecher u. a. für Nickelodeon, ZDF, NDR, Disney Channel, verschiedene Film- und Fernsehproduktionen. Er ist aufgewachsen in Friesenhagen (Kreis Altenkirchen), machte 1982 Abitur am Hollenberg-Gymnasium (Waldbröl), danach erfolgte die Ausbildung zum Buchhändler in der Buchhandlung John (Meckenheim). Anschließend war er Presse- und Öffentlichkeitsreferent der Aids-Hilfe Bonn e.V., später Konzeptioner, Texter und Mitinhaber der Projekt-PR Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit mbH in Bonn. Von 2000-2001 besuchte er die Internationale Filmschule Köln (IFS) und absolvierte eine Ausbildung zum Drehbuchautor. Seit 2008 engagiert er sich stark für die Leseförderung von leseschwachen Jungen. Er gibt zu diesem Thema Seminare, Vorträge für Eltern und Workshops nur für Jungen. Seit 1993 lebt Frank Maria Reifenberg in Köln.

Mit Herrn Frank Maria Reifenberg sprach Dr. Bruno Köhler, Leiter des Projektes „Jungenleseliste“ von MANNdat e.V.

MANNdat e.V.: Sehr geehrter Herr Reifenberg, Sie sind Schriftsteller. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?

Herr Reifenberg: Zufällig. Ich hatte meinen alten Job in einer PR-Agentur gekündigt, saß in einem Café und erfreute mich des Lebens, als ein Freund mich darauf aufmerksam machte, dass es an der Internationalen Filmschule Köln die Möglichkeit bestünde, sich zum Drehbuchautor ausbilden zu lassen. Ich bewarb mich, errang einen von 12 Plätzen und entdeckte, dass ich wohl Talent zum Geschichtenerzählen habe. Relativ bald kam dann der Thienemann Verlag und bat mich, einen Roman für Jungs in der Reihe „Für Mädchen verboten“ zu schreiben. Zack, war ich Autor.

Welches sind Ihre erfolgreichsten Bücher?

Ein Buch für Mädchen, das ich gemeinsam mit einer Kollegin in der Reihe „Freche Mädchen Freche Bücher“ geschrieben habe: „It’s showtime, Mick“ war der Titel. Dieselbe Story zweimal erzählt: jeweils aus Mädchen- und aus Jungensicht. Sehr amüsant.

Mein sicher bestes, tiefstes Buch ist der „Landeplatz der Engel“.

Welche Ihrer Bücher werden besonders von Jungen gerne gelesen?

Es gibt ja einige Titel von mir, die ich mit dem Blick auf eine männliche Leserschaft geschrieben habe, die also eher aktionsgeladen sind, thematisch näher bei Jungen liegen und natürlich einen männlichen Protagonisten haben: die Inuit-Geschichten (Kampf im ewigen Eis, ab 8), in denen es um Abenteuer, Jagd usw. geht. Oder die Speedkidzz-Reihe (ab 11), die im Rennfahrer-Milieu spielt.

Warum halten Sie Jungenleseförderung für so wichtig und warum haben Sie ab 2008 begonnen, sich in diesem Bereich so stark zu engagieren?

Lesen ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur, Lesen tut auch Jungen gut tut, weil es zu einer vielschichtigen und stabilen Persönlichkeitsentwicklung beitragen kann. Lesen befördert viele hirnphysiologische Prozesse, die lesenden Kindern in vielen Bereichen helfen, es stärkt sie in ihrer Sozialkompetenz, in der Kommunikations- und Dialogfähigkeit.

Viele Jungen verabschieden sich schon vom Lesen bevor sie es überhaupt richtig gelernt haben und damit entgeht ihnen ein unglaubliches Potenzial. Oft kommen sie über die Grundfertigkeiten, das funktionale Lesen kaum hinaus, was (auch) erklärt, warum sich ihnen der Genuss am Lesen nicht erschließen kann.

Als ich das in meinen vielen Lesungen bemerkte, habe ich mich eingehender mit der Forschung zu diesem Thema auseinandergesetzt. Dabei kommt man sehr schnell darauf, dass Jungs u. a. zu wenig männliche lesende Vorbilder haben, es gibt in der gesamten Phase des Sprach-/Schrifterwerbs kaum männliche Identifikationsfiguren für sie. Sie erleben Lesen als eine rein weibliche Kulturpraxis. Wenn Mädchen und alles, was mit ihnen zu tun hat, uncool wird und sie sich scharf gegen jeglichen „Mädchenkram“ abgrenzen, gehört das Buch oft zu diesem kram.

Welche Projekte zur Jungenleseförderung bieten Sie an und wo können sich Interessierte dazu näher informieren?

Meine wichtigste Aufgabe sehe ich eigentlich darin, das Thema immer wieder in den unterschiedlichsten Bereichen zu platzieren und aufmerksam darauf zu machen, also klassische Multiplikatorenarbeit. Dazu biete ich Vorträge und Seminare für Eltern, Lehrer/innen, Bibliothekare/innen an. Immer häufiger werde ich auch von Universitäten und entsprechenden Ausbildungsstätten angesprochen, im nächsten Semester werde ich im Rahmen eines Lehrauftrags an der Kölner Uni Studierende zum Thema Leseanimation für Jungen ausbilden.

Ich orientiere meine allgemeinen Lesungen mehr an den Bedürfnissen von Jungen. Mädchen machen da trotzdem mit, umgekehrt schalten Jungs sofort ab, wenn in den Geschichten nichts drin ist, was sie interessiert. Spätestens ab der 5. Klasse kann man die Interessen von Jungen und Mädchen – was den Lesestoff angeht – eigentlich kaum noch unter einen Hut bringen.

Zudem biete ich auch Veranstaltungen nur für Jungen an: den Workshop „Bücherjungen – Jungenbücher“ und einen Workshop „Kicken und Lesen“, der übrigens in der Turnhalle stattfindet (www.lesefoerderung-fuer-jungen.de).

Ich behandele das Thema auch immer wieder in meinem Blog (http://schreibkraftfmr.com, dort unter der Kategorie „Jungenleseförderung“ und „Buchtipps für Jungen“ schauen). Dort stelle ich z.B. Methoden zur Leseförderung vor oder lade andere zu meiner Reihe „4 Bücher für 4 Jungs“ ein. Darin stellen Bücher-Profis ihre Favoriten für Jungs ab 8, 10, 12 und 14 vor.

Für das nächste Schuljahr habe ich mit der SK-Stiftung Kultur hier in Köln ein großes „kicken&lesen“-Projekt für ausgewählte Kölner Schulen auf die Beine gestellt. Und ich arbeite mit Frau Professor Garbe von der Uni Köln an einer neuen, noch im Aufbau befindlichen Internet-Plattform: www.boyandsbooks.de

Über das Projekt Boys&Books hatten wir in unserem letzten newsletter berichtet. Sie sagten, dass Sie ab nächstem Semester an der Uni Köln Studierende in Sachen Leseanimation für Jungen ausbilden. Das sieht so aus, als ob sich die Uni Köln zu einem Kristallisationspunkt in Sachen Jungenleseförderung entwickeln könnte.

Auch heute, 13 Jahre nachdem die OECD in ihrer ersten PISA-Studie Jungenleseförderung als wichtige bildungspolitische Herausforderung angemahnt hat, gibt es in nur vier von 16 Bundesländern staatlich unterstützte Jungenleseförderprojekte. Was müsste die Bildungspolitik Ihrer Meinung nach in Sachen Jungenleseförderung mehr tun?

Oh, das ist ein weites Feld. Wenn es nur vier Länder getan haben, dann bedeutet das: die restlichen müssen nachziehen. Ich glaube, das Problem wird immer noch unterschätzt. Vor allem scheuen sich nach wie vor viele, auch hier eine geschlechtsspezifische Förderung anzupacken.

So wie es Förderprogramme für Mädchen in den naturwissenschaftlichen Fächern gab und gibt, brauchen Jungen diese im Bereich Lesen. Da gibt es dann oft einen Aufschrei, jetzt wolle man die Jungen schon wieder bevorzugen und die Mädchen benachteiligen. Aber darum geht es gar nicht.

Jungen brauchen auf eine ganz andere Weise Chancengleichheit. Sonst können wir noch lange über die „Bildungsverlierer“ (die nämlich männlich sind, aus sozial benachteiligten Milieus kommen und oft einen Migrationshintergrund haben) lamentieren. Mir ist klar, dass in der Schule eine Menge „abgeladen“ wird, die Strukturen und Menschen dort oft überfordert sind, innerhalb von wenigen Jahren komplette Politikwechsel mitmachen müssen und am Ende auch resignieren.

Es sollte aber ein grundlegendes Umdenken in der Gestaltung des Deutschunterrichts geben, das betrifft Jungen und Mädchen. Lesebegeisterung lässt sich spätestens ab der 5. Klasse nicht mehr für beide Geschlechter mit denselben Büchern wecken. Also müssen wir Wege finden, wie auf die besonderen Leseinteressen von Jungen und Mädchen eingegangen werden kann.

Dazu sollte freies Lesen sehr viel mehr gefördert werden, am besten ohne direkten Notendruck. Auch kleine, unaufwendigen Änderungen können viel bringen: Zum Beispiel Vertretungsstunden konsequent zum Lesen nutzen.

Vielleicht muss man Lesen aus dem Fach Deutsch herausschneiden. Leseförderung heißt in erster Linie LUST aufs Lesen zu machen, das ist mit dem gängigen Lese-Kanon fast unmöglich.

Ich mache knapp 100 Veranstaltungen und Lesungen im Jahr, in ganz Deutschland, in Südtirol und der Schweiz. Ich komme in Schulen aller Formen, in reine Privatschulen und ums Überleben kämpfende Schulen in sozialen Brennpunkten. Meistens hängt Leseförderung nur vom Engagement einzelner Lehrer/innen und Bibliothekar/innen ab, sehr viel seltener haben sich ganze Schulen dem Konzept der „lesenden Schule“ verschrieben.

Beim Lektüreangebot müssen Schulen (oder die Verantwortlichen in der Verwaltung und Politik) ebenfalls umdenken. Leselust weckt man mit Geschichten und Büchern, die Spaß machen, die sich mit Themen beschäftigen, die die Kinder und Jugendlichen interessieren. Da gibt es meistens nur eine minimale Schnittmenge mit dem, was die Erwachsenen gut finden. Das sogenannte „gute“ oder „gehobene“ Kinder- und Jugendbuch ist für die Zielgruppe, die es lesen soll, oft eher abschreckend.

Als wir letztes Jahr die Buchmesse in Frankfurt besuchten, fanden wir keine einzige Veranstaltung zum Thema Jungenleseförderung. Bei manchen Verlagen wurden wir bei der Frage nach speziellen Jungenbüchern verständnislos angeschaut, nicht zuletzt auch bei Schulbuchverlagen. Das Thema Jungenleseförderung scheint bei vielen Verlagen noch nicht angekommen zu sein. Geht es den Jugendbuchverlagen zu gut oder warum, meinen Sie, sind die Verlage nicht stärker an Jungen als Zielgruppe interessiert?

Zunächst muss man feststellen: Verlage sind Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften müssen, sollen und dürfen. Die machen sie mit Angeboten an Mädchen deutlich leichter und schneller.

Alle Programmleiterinnen und Verleger, die ich kenne, sind sich des Problems durchaus bewusst. Einige haben schon versucht spezielle Reihen herauszubringen, besonders erfolgreich war das meistens nicht. Außerdem gibt es auch genug Bücher für Jungs, nur leider halten die Käufer und Vermittler von Büchern (Kinder sind ja zum größten Teil keine Selbstkäufer) gerade das, was Jungs mögen, oft nicht für passend und förderungswürdig.

Gerade die „schwierigen“ Jungen (was das Lesen betrifft), haben einfach keinen Bock auf den klassischen gebrochenen Held der gehobenen Kinder- und Jugendliteratur. Sie wollen

einen starken Held, der Probleme löst und nicht das Problem ist, sie wollen Aktion und Spannung, Humor, albern sein, manchmal chaotisch.

Den bekommen sie in jedem PC- oder Videospiel mit sehr viel mehr Spaß und mit weniger Aufwand. Ist doch klar, dass das viel attraktiver ist.

Wie können Eltern ihre Jungen bei der der Entwicklung ihrer Lesekompetenz unterstützen?

Hier sind vor allem die Väter gefragt. Dass Jungen/Männer weniger lesen als Mädchen/Frauen ist ja kein neues Phänomen. Jungen fehlen also schon von vornherein die männlichen Vorbilder und Identifikationsfiguren, die ihnen zeigen, dass Lesen auch eine männliche und attraktive Kulturpraxis sein kann.

Im Zusammenhang mit Büchern begegnen Jungen in der gesamten Phase des Schrift- und Spracherwerbs in erster Linie Frauen (Stichwort „feminisierte Erziehung“). Auch zu Hause sehen sie natürlich selten einen Mann mit Buch. Vorlesen ist oft immer noch Müttersache, den Vater sehen die Jungs – wenn überhaupt – mit der Zeitung und (sehr) gelegentlich mit einem Buch. Vater/Sohn-Leserituale bewusst einzurichten ist eine Möglichkeit.

Grundsätzlich müssen Eltern zudem genau hinschauen, was die Jungs eigentlich interessiert. Bei Elternvorträgen bin ich immer wieder erstaunt, wie wenig die eigentlich wissen. Das ist natürlich schwierig, gerade wenn die Ablösung von den Eltern beginnt.

Zudem wird die Definition von dem, was Lesen ist, zu eng gesteckt. Leser ist man nicht erst, wenn man Novellen von Theodor Storm liest oder den Zauberberg von Thomas Mann.

Lesen muss man unabhängiger vom Inhalt des Lesestoffs sehen. Wenn ein Junge für einen Fußballer schwärmt und sich lesend durch dessen Biographie kämpft: super! Wenn ein Junge sich für ein PC-Spiel begeistert, könnten die Spielregeln und das Fanzine ein erster Schritt in eine Lesekarriere sein.

Ich hatte mal einen Jungen in einem Workshop, der einen dicken Schinken über Traktoren mitbrachte und mit Begeisterung und ziemlich gut daraus vorlas (für die anderen war es weniger spannend).

Was Eltern meistens nicht wissen: Lesekompetenz entwickelt sich durch stetes Training mehr oder weniger unabhängig vom Inhalt des Gelesenen und unabhängig vom „Trägermedium“.

Oft ist es so, dass wir die Jungs hoffnungslos überfordern, weil sie die grundlegenden Lesefertigkeiten noch nicht erlernt haben. Das erlebe ich nicht selten in der 5. und 6. Klasse und auch noch später. Jungs sind großartig darin, sich in der Schule irgendwie durchzumogeln. Darauf muss man auch im Elternhaus achten. Nur weil der Junge 10 Jahre ist, sind Bücher, die ab 10 angeboten werden nicht unbedingt richtig.

Wir wünschen uns – gerade wenn wir selbst Leser/innen sind –, dass aus den Kindern richtige „Leseratten“ werden, die genau wie wir in der Welt eines Buches versinken. Wenn Kinder aber hauptsächlich noch mit dem mühseligen Entziffern der Worte und Sätze beschäftigt sind, stellt sich dieser Genuss nicht ein. Es ist nur Stress. Dicke Bücher sind dann eine echte Bedrohung für die Jungen, auch, weil sie genau wissen, dass sie daran scheitern werden. Und wer scheitert schon gerne?

Das alles heißt nicht, dass nicht auch ein bisschen Durchhaltevermögen aufgebracht werden muss. Schon 15 bis 20 Minuten, die man täglich mit Lesen verbringt, haben auf Dauer einen Trainingseffekt. Vielleicht hilft eine Analogie zu etwas, das sie gerne tun: Niemand wird als Fußballer geboren und niemand wird als Leser geboren. Mit Ausdauer, ein bisschen Disziplin und Training kann man sich in beidem verbessern.

Jungen greifen lieber zum Computer als zum Buch. Sind Computer und Buch Konkurrenten oder können sich beide sinnvoll ergänzen?

Auf keinen Fall sollte man sie als Konkurrenz sehen, alleine weil das Buch gegen den Computer ziemlich sicher verliert. Ob man auf dem Tablet, dem E-Reader, dem PC und im Buch liest – die Vorgänge im Gehirn sind weitgehend gleich. Elektronische Medien kommen Jungen entgegen, weil sich gezeigt hat, dass sie im kleinteiligen Lesen, in der Verbindung

von Text und Bild und Grafik besser sind, Defizite haben sie meistens bei längeren Texten. Wenn sie am Computer tatsächlich lesen (und nicht surfen, rumdaddeln usw.), kann das eine Stütze für die Leseförderung sein. Das gilt übrigens auch für das Smartphone. Für mich eine Horrorvorstellung darauf zu lesen, für digital natives (und das sind Kinder heute) ist es völlig normal.

Eine Möglichkeit ist auch, Hörbücher einzusetzen. Aber Achtung: Das Hörbuch ersetzt nicht das Lesen, da passieren im Gehirn völlig unterschiedliche Dinge. Hilfreich kann aber sein, wenn er das Hörbuch hört und dabei den Text mitliest. Noch besser ist natürlich gemeinsames Lesen, also einer (Vater) liest die Geschichte vor, der andere (Sohn) hört zu. Es ist erwiesen, dass wir viel zu früh aufhören den Kindern vorzulesen. Auch Jungs in der 5. oder 6. Klasse kann man damit noch begeistern.

Glauben Sie, dass e-Books das Interesse von Jungen an Büchern steigern können?

Im Prinzip ja, weil es ihrer Affinität zur technischen Geräten entgegenkommt. Und natürlich ist es weitaus cooler mit einem solchen Gerät rumzulaufen als mit einem Buch, zudem sieht die Umgebung nicht, was man liest.

Das Problem liegt allerdings noch darin, dass es zu viele unterschiedliche Formate gibt und die Reader für junge Leser oft noch zu teuer sind, für die ganz jungen auch zu empfindlich. Aber auch da wird die Buch- und Geräte-Industrie sicher die Lücken in den nächsten Jahren schließen.

Welche Buchtipps für Jungen – außer Ihren eigenen natürlich – können Sie uns geben?

Ich gebe eigentlich ungern Tipps, auch in meinen Seminaren arbeite ich nicht mit Leselisten usw., obwohl es die auch geben muss. Vielmehr versuche ich mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Kriterien zu entwickeln, mit denen man im Alltag als Bibliothekar oder Lehrer immer wieder neue, passende Lesestoffe entdecken kann. Das ist wichtig: halbwegs aktuell sein.

Die emotionalen Grundthemen ändern sich nicht so sehr, aber die Art zu erzählen und die Einbettung in aktuelle gesellschaftliche Strömungen ist immer wieder anders und neu, besonders für Jugendliche. Mit Jugendbüchern aus den 70ern sollte man 11-Klässlern nicht mehr kommen, das passiert aber laufend.

Okay, hier dann doch ein paar meiner Favoriten:

Für Jungs um die 10: Die „Coolman“-Reihe von Rüdiger Bertram oder die „Schurken“-Reihe von Frank Schmeißer oder „Plötzlich Zombie“ von David Lubar. Komisch, chaotisch, ein bisschen wie „Gregs Tagebücher“.

Sehr spannend und dabei mit großer thematischer Tiefe sind die drei Bände „Meto“ von Yves Grevet. Es geht um die Befreiung einer Gruppe von Jungen aus einem totalitären Regime (ab 12). Band 1 und 2 werden sehr kompakt auf nicht allzu vielen Seiten erzählt, der 3. ist schon eher ein Schmöker. Besonders daran ist die klare und einfache Sprache, kein Geschwurbel, nicht verschachtelt, gut verständlich.

Für erfahrene Leser ab 14: „Vango“ von Timothée de Fombelle, ein fast schon klassischer Abenteuer-Roman, der in vielen ineinander verwobenen Strängen und Zeitebenen erzählt wird. Das ist eher anspruchsvoll von der Komplexität der Geschichte und Erzählweise, aber sehr schnell und mitreißend.

Für Jugendliche ab 15/16: „Being“ von Kevin Brooks, ein Thriller, surreal, schnell, spannend und nebenbei wird die Frage abgehandelt, was dich zum Mensch macht – oder auch nicht.

Na, das waren doch jetzt aber eine ganze Menge Tipps. Vielen Dank dafür und vielen Dank für dieses Interview. Wir wünschen Ihnen noch viel Erfolg mit Ihren Büchern und bei Ihrem Engagement in der Jungenleseförderung.