Interview mit Charlotte Habersack
Auf die richtige Hauptfigur achten
Interview mit Jugendbuchautorin Charlotte Habersack zur Jungenleseförderung
Charlotte Habersack wurde in München geboren und wuchs dort als Älteste von drei Schwestern auf. Als Kind war ihre Lieblingsbeschäftigung das Lesen von Abenteuergeschichten. Schon mit sieben begann sie, ihre ersten eigenen Geschichten zu schreiben. Sie studierte Germanistik in Augsburg und München und arbeitete neben ihrem Studium als Kinoredakteurin beim Fernsehen. Heute schreibt sie vor allem Drehbücher und Romane für Kinder. Die bodenständige Bayerin liest immer noch viel, macht gerne Mathe-Hausaufgaben mit ihren Kindern und reist mit ihrem Motorrad durch fremde Länder. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in München.
Frage MANNdat: Frau Habersack, was fasziniert Sie an Büchern und speziell an Kinder- und Jugendbüchern?
Frau Habersack: Ein Buch schafft einfach Unglaubliches: Man kann von „20 000 Meilen unter dem Meer“ bis auf den Mount Everest oder sogar bis zum Mond reisen – und das für nur ein paar Euro und ohne vom Sofa aufzustehen! In Büchern erlebt man die tollsten Abenteuer, lernt interessante Menschen kennen und reist ruckzuck in fremde Welten. Ein Buch ist wie ein guter Freund, der einen zum Lachen oder auch zum Weinen bringen kann. Bücher sind so vielseitig! Und das nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes .
Frage: Sie sind bekannt als Autorin verschiedener Mädchenbücher und Mitautorin von Sachbüchern. Mit „Feuerfalle Kran“ und „Der Geisterzug“ erschienen von Ihnen hervorragende Bücher, mit denen Sie auch gezielt Jungen ansprechen wollen. Was hat Sie persönlich dazu motiviert?
Eines Tages habe ich in der Zeitung von einem Bauarbeiter gelesen, der auf einem brennenden Kran gefangen saß und nicht mehr herunter konnte. Mein Neffe, ein echter Lesemuffel, saß plötzlich neben mir und wollte alles ganz genau wissen. Er wich mir nicht von der Seite, bis ich ihm den ganzen Artikel vorgelesen hatte. Da war mir klar: Das sind die Geschichten, die lesefaule Jungs fesseln! Wahre Geschichten von Menschen, die in brenzlige Situationen geraten, sich aber selbst daraus befreien können. Kurz darauf ist die „Feuerfalle Kran“ entstanden. Ich habe mich so weit wie möglich an die Fakten gehalten, nur dass in meinem Buch kein Bauarbeiter, sondern ein neunjähriger Junge die Geschichte erlebt.
Frage: Während in den USA und Großbritannien Bücher für Jungen, wie z.B. „Gregs Tagebuch“ oder „Dangerous Book for Boys“, zu Beststellern werden, wirken die bisherigen Bemühungen der Verlage in Deutschland, mehr Jungen als Kundschaft zu gewinnen, eher bescheiden. Geht es deutschen Verlagen so gut, dass man auf Jungen als Käuferklientel verzichten kann oder weshalb ist das Ihrer Meinung nach so?
Hm. Da müssten Sie die Verlage fragen. Aber meine Erfahrung ist, dass ein Verlag eben nach der größten Käuferschicht schielt. Und wenn Jungs weniger kaufen und lesen als Mädchen, werden auch weniger Bücher für sie produziert. Ein Teufelskreis. Größere Verlage investieren immer da, wo sie auch den größten Gewinn vermuten. Idealismus leisten sich vermutlich nur kleinere Verlage.
Frage: Jungen und Mädchen haben tendenziell unterschiedliche Leseinteressen. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Kriterien für ein gutes „Jungenbuch“?
Wichtig ist auf jeden Fall eine männliche Hauptfigur. Auch wenn Mädchen zwar Bücher mit männlichen Hauptfiguren lesen, Jungs legen ein Buch mit einer weiblichen Protagonistin eher zu Seite. Außerdem sollte die männliche Hauptfigur stark sein – wobei es ganz egal ist, ob sie eine physische, psychische oder moralische Stärke besitzt. Sie sollte also einen gewissen Vorbildcharakter haben und Abenteuer bestehen müssen, die tendenziell eher in der Außenwelt liegen. Zu guter Letzt sollte die Hauptfigur das Abenteuer aus eigener Kraft meistern. Wenn das alles stimmt, ist es egal, ob es eine Fantasy-Geschichte oder eine realistische Geschichte ist. Das ist dann nur noch Geschmackssache.
Frage: Es gibt viele Jungen, die durchaus interessiert sind an Tiergeschichten. Zu meiner Zeit waren Fernsehserien, wie Lassie oder Flipper auch für Jungen ein Highlight. Heute sind Tiergeschichten, insbesondere auch Pferdegeschichten, von vorne herein für Mädchen als Zielgruppe ausgelegt. Wie müssten solche Tierbücher aussehen, um auch Jungen anzusprechen?
Das stimmt. Tiergeschichten und Jungen schließen sich natürlich nicht aus. Warum nicht sogar eine Pferdegeschichte? Wenn man die oben genannten Kriterien beachtet, ist das absolut möglich. Auch bei Lassie gibt es eine männliche Hauptfigur. Sie hat eine große moralische Stärke, nämlich die treue Freundschaft zu ihrem Hund. Gemeinsam bestehen sie Abenteuer und lösen Probleme. Dass es im Moment eher Fußball-, Piraten- oder Vampirgeschichten gibt, ist nur ein Trend. Bücher sind eben auch Moden unterworfen. Mal sehen, was man nächsten Frühling trägt 😉
Frage: Was raten Sie Eltern, die ihre Jungs mehr zum Lesen motivieren wollen, außer natürlich dem Kauf Ihrer Bücher;-)
Ich rate ihnen zunächst mal: Vorlesen, vorlesen, vorlesen! „Dazu bist du schon zu alt“, gibt’s nicht. Man ist nie zu alt, um vorgelesen zu bekommen. Solange das Kind will, sollte man das auch tun. Außerdem sollte man mit gutem Beispiel vorangehen. Viele Eltern, die sich beklagen, dass ihr Kind nie liest, vergessen, dass Ihr Kind sie auch nie lesen sieht. Lesen Sie, auch in Anwesenheit ihres Kindes. Seien Sie Vorbild! Finden Sie heraus, was für ein Genre Ihr Kind gerne liest. Humorvolle Bücher, Abenteuergeschichten oder Fantasy? Ein Kind, das humorvolle Geschichten mag, wird man mit Fantasy kaum hinter dem Ofen hervorlocken können.
Frage: Dürfen wir mehr Bücher mit Jungen als Zielgruppe von Ihnen erwarten?
Ich bin mit mehreren Verlagen im Gespräch über Jungen-Themen und hoffe, auf offene Ohren zu stoßen. Ich schreibe auf jeden Fall liebend gerne für Jungen und habe als Kind selbst lieber Abenteuer als Liebes- oder Pferdegeschichten gelesen. Aber Sie haben mich auch auf eine Idee gebracht. Wer weiß? Vielleicht versuche ich mich demnächst mal an einer Tiergeschichte für Jungs…
MANNdat: Wir danken Ihnen für das Interview.